Die Anzahl von Geldautomaten-Sprengungen in Hessen ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 90 Prozent gestiegen. 56 Taten wurden registriert. Die Diebstahlsumme liegt bei rund 2,75 Millionen Euro. Hinzu kommen Sachschäden von mehr als 2,5 Millionen Euro. Weil durch den gezielten Einsatz von Sprengstoff rücksichtlos Menschleben riskiert werden und die Täter zugleich immer gewaltbereiter vorgehen, hatte der Hessische Innenminister Peter Beuth – gemeinsam mit dem Präsidenten des Hessischen Landeskriminalamtes (HLKA) Andreas Röhrig – Entscheidungsträger und Sicherheitsexperten deutscher Kreditinstitute zu einer Fachtagung eingeladen. Mehr als 30 Institute nahmen an der Hybridveranstaltung vor Ort oder online teil.
„Angesichts hochkrimineller Täter und ihrer völlig rücksichtslosen Vorgehensweise besteht die Gefahr, dass früher oder später Menschen erheblich verletzt werden oder sogar zu Tode kommen. Zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger, die zugleich auch Kundinnen und Kunden sind, ist es wichtig, dass wir gemeinsam in einen noch intensiveren Austausch zur Bekämpfung dieser Strukturen gehen. Wir haben heute über präventive Maßnahmen diskutiert und wollen gemeinsam die Attraktivität von Tatgelegenheiten weiter reduzieren. Mein Ziel ist es, den gemeinsamen Kampf gegen diese Form von Organisierter Kriminalität mit einer breit aufgestellten hessischen Sicherheitsallianz zu intensivieren. Diese soll unser gemeinsames Engagement zum Schutz der Bevölkerung und gemeinsamer Werte unterstreichen. Wir dürfen nichts unversucht lassen, um mit aller Entschlossenheit die hochkriminellen Täter zu bekämpfen und mit gezielter Prävention diese gefährlichen Sprengungen zu verhindern“, so Innenminister Peter Beuth.
Flächendeckende Präventionsmaßnahmen
„Seit 2019 haben wir eine zentrale hessenweite Fachdienststelle eigens für diesen Phänomenbereich eingerichtet. Durch intensive Ermittlungsarbeit ist es bereits gelungen, mehr als 20 Tatverdächtige in Haft zu bringen. Erfahrungen aus ebenfalls betroffenen Nachbarländern wie den Niederlanden zeigen uns, dass es Möglichkeiten gibt, das Risiko für Geldautomatensprengungen erheblich zu senken – etwa durch flächendeckende Präventionsmaßnahmen. Sie können sicher sein, dass die Ermittlerinnen und Ermittler für schwere und organisierte Kriminalität beim Hessischen Landeskriminalamt in enger Zusammenarbeit mit den hessischen Polizeipräsidien sowie unseren nationalen und internationalen Sicherheitspartnern sich der Bekämpfung dieses Phänomens mit hohem Engagement und einer Vielzahl von polizeilichen Maßnahmen widmen“, erklärte der Präsident des Hessischen Landeskriminalamtes Andreas Röhrig.
Bundesweit steigende Fallzahlen
Sicherheitsexperten des HLKA informierten die vor Ort anwesenden oder online zugeschalteten Teilnehmer der Kreditinstitute über die aktuelle Situation, Hintergründe, Gefahrenpotenziale und Handlungsempfehlungen im Umgang mit Geldautomaten-Sprengungen. Trotz erfolgreicher Maßnahmen der Strafverfolgung mit zahlreichen Festnahmen in Hessen und weiteren Bundesländern ist dieses Phänomen durch steigende Fallzahlen gekennzeichnet. Aktuell ereignen sich nahezu täglich Sprengungen im Bundesgebiet; regelmäßig sind auch Geldautomaten in Hessen Tatorte. Die Erfahrungen der letzten Jahre belegen, dass insbesondere präventive Maßnahmen der Schlüssel sind, um dieses Phänomen nachhaltig zu bekämpfen. Nachbarstaaten – beispielsweise Frankreich und den Niederlanden – ist es bereits gelungen, durch abgestimmte Präventionskonzepte und intensive Maßnahmen die schwerkriminellen Banden zu verdrängen – insbesondere nach Deutschland.
Fallbeispiele aus den Bundesländern
Die Bundesrepublik bildet derzeit den europäischen Brennpunkt. Markante Fallbeispiele sind Taten in Bonn (Nordrhein-Westfalen), Rüsselsheim am Main (Hessen) und in Kinding (Bayern). Durch die in tiefer Nacht erfolgte Detonation des festen Explosivstoffes in Bonn stürzte eine Gebäudewand in das angrenzend liegende Kinderzimmer und fiel auf das dort befindliche Kinderbett. Glücklicherweise schliefen die zwei Kinder (6 und 12 Jahre alt) in dieser Nacht nicht dort. Nur deshalb erfuhren sie keine lebensbedrohlichen Verletzungen. Ihr Vater hingegen wurde leicht verletzt.
In Rüsselsheim am Main schlief ein Obdachloser im Servicebereich der Filiale in unmittelbarer Nähe zu den Geldautomaten. Dies hielt die Täter nicht davon ab, ebenfalls in tiefer Nacht, feste Explosivstoffe zur Umsetzung zu bringen. Lediglich glücklichen Umständen ist es zu verdanken, dass der Mann die Sprengungen schadlos überlebte. Die ungeheure Wucht mehrerer Explosionen zerstörte den gesamten Vorraum sowie Büros im rückwärtigen Bereich. Ein Gebäudeschaden von rund einer Million Euro wurde zudem verursacht.
Es sind aber nicht ausschließlich die Sprengstoffe, die Grund zur Sorge sind. Am 12. November 2021 wurde in Kinding (Bayern) ein Tatzeuge von einem schwerkriminellen Täter laut ersten Erkenntnissen mit einer Schusswaffe bedroht. Auch begründet weiterhin das brutale und rücksichtslose Fluchtverhalten der Täter enorme Gefahren für unsere Bürgerinnen und Bürger.
Derzeit existiert noch keine gesetzliche Grundlage, Präventionselemente einzeln oder im Zusammenwirken vorzuschreiben. Inwiefern hierfür eine gesetzliche Änderung nötig ist, um Kreditinstitute zu entsprechenden Schutzmaßnahmen zu verpflichten, wird auch im Rahmen der Innenministerkonferenz zurzeit diskutiert. Ziel des Hessischen Innenministeriums ist es, im Schulterschluss mit der Bankenwirtschaft Präventionsmaßnahmen gemeinsam zu prüfen und zu realisieren, um schnellstmöglich die Tatgelegenheiten auf ein Minimum zu reduzieren.