Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza sagt: „Die Infektionen greifen nur so um sich. Gerichte und Staatsanwaltschaften benötigen dringend und vor allem zügig mehr Flexibilität. Denn versäumt man die bestehenden Unterbrechungsfristen nur um einen Tag, muss die komplette Verhandlung neu begonnen werden. Das ist nicht nur für die Gerichte frustrierend und für die Opferzeugen belastend – es kostet den Steuerzahler auch sehr viel Geld.“
Gemeinsamer Brief der Länder
In einem gemeinsamen Brief teilen die Länder dem Bundesminister der Justiz mit, dass sie den durch die Regelungslücke eingetretenen Zustand in Anbetracht des aktuellen Pandemiegeschehens für bedenklich halten. Er sei geeignet, die Praxis des Strafverfahrens vor ganz erhebliche Schwierigkeiten zu stellen. So werde die Effektivität der Strafrechtspflege unter den Bestimmungen des geltenden Rechts zur Unterbrechung der Hauptverhandlung und gerade auch mit Blick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen ernsthaft in Frage gestellt. Einen Sachgrund, den allseits als unentbehrlich erachteten Hemmungstatbestand nicht unmittelbar wiedereinzuführen, sondern die Regelung in das für den Herbst angekündigte Corona-Maßnahmenpaket zu integrieren, erkennen sie nicht.
„Die Berliner Ampel-Koalition ist in Corona-Fragen heillos zerstritten. Sie gefährdet damit eine erfolgreiche und in sich konsistente Corona-Politik. Die Strafjustiz darf darunter nicht leiden. Gesetzliche Rahmenbedingungen müssen die Durchführung von großen Strafverfahren auch in Pandemiezeiten gewährleisten“, führte der hessische Justizminister Prof. Dr. Roman Poseck abschließend aus.
Bundesratsinitiative angekündigt
Niedersachsen kündigt zudem eine Bundesratsinitiative an. Danach soll der Sachgrund der „höheren Gewalt“ unbefristet in die Strafprozessordnung aufgenommen werden, um Unterbrechungsfristen zu hemmen. Damit soll außergewöhnlichen Lagen künftig Rechnung getragen werden, zum Beispiel im Falle von Naturkatastrophen oder anderen Seuchen. Barbara Havliza: „Die Strafprozessordnung ist auf diese Unsicherheiten nicht eingestellt. Wir brauchen deshalb eine neue, dauerhaft geltende Regelung im Prozessrecht.“
Zum Verständnis: Grundsätzlich erlaubt die Strafprozessordnung (StPO) nur eine vergleichsweise kurze Unterbrechung einer Hauptverhandlung. Die StPO sieht Unterbrechungen der Hauptverhandlung grundsätzlich bis zu drei Wochen vor, nach zehn Verhandlungstagen bis zu einem Monat – und in klar benannten Fällen (Erkrankung oder Mutterschutz) kann der Zeitraum weiter verlängert werden. Was aber passiert z.B. bei Unterbrechungen aufgrund von Quarantäne-Anordnungen oder „höherer Gewalt“? Die Strafprozessordnung hat hierauf aktuell keine Antwort.